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ESC ist okay – wenn nur die Musik nicht wäre…

Die meiste Musik mag ich nicht, wenn sie allzu radiotauglich oder schlagerähnlich ist. Insofern wird aus mir auch keine Freundin des Eurovision Song Contest (ESC) mehr, obwohl man sich früh bemüht hat, mich für derlei Spektakel zu begeistern. Jedenfalls habe ich vom aktuellen ESC nur den Schnelldurchlauf und die Punktevergabe geschaut. Das erinnert mich an Fernsehsamstagabende bei Omma und Oppa, es erinnert mich an den „Grand Prix Eurovion de la Chanson Européenne“ meiner frühen Kindertage in den 1970ern. Keine Ahnung, wer da musiziert hat oder welches Land gewonnen hat. Mein Interesse galt Desirée Nosbusch. Ich fand es toll, wie souverän sie mit verschiedenen Sprachen mitten im Satz jonglierte und dabei völlig unangestrengt wirkte. Besonders das Französisch war Musik in meinen Ohren; das sollte mir erst ein paar Jahre später im Ballettkurs wieder begegnen.

Oppa, der die ganze Veranstaltung albern fand – „Alles Schießbudenfiguren!“ – und nur der Omma zuliebe mitspielte, zeigte mir sinnstiftend in einem Atlas die Länder, deren Sangesmenschen auftraten. Ab und zu verlor Oppa eine Bemerkung in der Betrachtung. So etwas wie: „Ach, die Italiener, die sind doch schon im Krieg immer weggelaufen.“ – Das war für mich natürlich interessant! Ich fand das dann auch spontan recht pfiffig von den Italienern, wegzulaufen statt sich gegenseitig zu töten – naiverweise finde ich das noch heute grundsätzlich sehr pfiffig. (Lieber 5 Minuten lang feige als ein Leben lang tot.) Das teilte ich dem Oppa natürlich unverblümt mit, was Omma zu einer feministisch angehauchten Bemerkung veranlasste. Etwa so: „Das Kind hat allemal mehr Durchblick als ihr Männer.“ (Das sage ich ja heute noch!) Doch mein kindlicher Fokus richtete sich wieder auf die sagenhaften Satzmelodien … „Et douze points, twelve points, zwölf Punkte gehen an… à la Suède, to Sweden, nach Schweden… ‚Waterloo‘.“ Oppa zeigte mir die Gegend um Brüssel und war schnell bei Napoleon. Und Omma bei „Männern“ im Allgemeinen.

„Omma, da tut sich endlich was!“, möchte ich heute rufen. Denn das Positive am ESC (wenn nur die Musik nicht wäre) ist, dass es eine zunehmend queere Veranstaltung ist. Sie ist also längst politisch.